20110124

Duddefliecher - Praxiserfahrung mit dem ActiveFly-Simulator von Ulrich Rüger


Activefly - wie war’s?
Der Bericht beschreibt die Klappertheorie, die Praxiserfahrung mit dem Simulator, Ergebnisse der Teilnehmer-Befragungen und stellt den Nutzen für Anfänger/Gelegenheitsflieger und Erfahrenen dar.
Theorie: Am 14./15.1.2011 fand im Segelflugplatzheim in Hassloch ein Training am Activefly-Simulator statt. Ulrich und ich trafen uns zum Aufbau schon am Freitag um 12:15 Uhr – genügend Zeit bis 16:00 (erster Slot) um Fachzusimpeln. Man merkte sofort, dass Ulrich als Luft-& Raumfahrtingenieur weiß wovon er spricht. So nutze ich diese Zeit um Ulrich auszufragen – hier die spannendsten Erkenntnisse:
Ulrich erklärte mir die Strömungsverhältnisse am Schirm während eines Klappers, nämlich: Egal wo der Schirm sich befindet, direkt nach einem Klapper ist der Anstellwinkel IMMER (bis auf wenige Ausnahmen) sehr groß. Warum? Weil der Schirm nicht mehr von vorne angeströmt wird, sondern bedingt durch das große Sinken direkt nach dem Klapper, von unten (vorne). Daraus folgt eine enorme Stallgefahr, also: Sofort Flossen hoch, solltest du zu Begin des Einklappens stark Anbremsen, bspw. weil du gerade den Schirm beim Vorschießen stoppen wolltest. Natürlich wieder Bremse anziehen, sobald der Schirm anfängt wegzudrehen (aber auch nicht davor). Ganz wichtig ist jedoch auch: O.g. ist zwar eine neue Erkenntnis, die Situation ist jedoch weniger häufig relevant. Das praktische Hauptproblem gem. Unfallstatistik ist, dass die Piloten zu wenig reagieren, d.h. keine/ungenügende Stabilisierung. Ergo: Üben, üben, üben!!! Ulrich hat viele spannende weitere Themen angesprochen, bspw. den Charakter einer Turbulenz, die für uns Gleitschirmflieger besonders gefährlich ist. An dieser Stelle möchte ich auch noch mal auf den Artikel von Ulrich aus DHV-Info 166 (siehe Downloadbereich) hinweisen.
Alle Klapper gleich?
Ulrich unterscheidet die Ursachen von Klappern, nämlich - Klapper aufgrund eines zu kleinen Anstellwinkels (Schirm schießt weit vor – wäre durch Aktivfliegen zu verhindern gewesen) und
- Klapper aufgrund horizontaler Windscherungen (wäre durch Aktivfliegen i.d.R. nicht zu verhindern gewesen)
- Klapper aufgrund sonstiger Ursachen (selten)
Innerhalb der von Ulrich untersuchten Stichprobe von Störungen, die zu einem Unfall führten, dominierten die Windscherungsklapper. Bei einem Klapper, egal welchen Typus, sind i.d.R. drei Phasen zu unterscheiden, nämlich Geradeausflug-/, Dreh- und Schießphase. Nach Analyse einer großen Anzahl von Klappern hat Ulrich festgestellt, dass der zeitliche Ablauf (inkl. Phasendauer!) aller Klapper quasi gleich ist und in jeder Phase gibt es die optimale Pilotenreaktion. Und genau da setzt der Activefly-Simulator an.
Meine Erwartungen an den Simulator:
Anfänglich hatte ich vor allem die Frage, wie realitätsnah die Simulation ist, sprich: Sind die Motoren dynamisch genug, um bspw. den schlagartigen Steuerdruckabfall bei einem Klapper zu simulieren? Wird lediglich das Prinzip des Aktivenfliegens vermittelt oder kann man das realitätsnah trainieren?
Einschätzung Programm „Aktivfliegen“:
Dieses Programm fordert vom Piloten ein sensibles Händchen. Ich muss zugeben. Stellt sich mein Schirm auf, löse ich die Bremsen vollständig um sie wieder zuzuziehen, sobald der Schirm über mir ist. Der Simulator fordert hier mehr! Nämlich - gemäß Lehrmeinung - das kontinuierliche Freigeben der Bremsen, so dass der gewohnte Steuerdruck auch während des Aufstellens jederzeit erhalten bleibt. Die Kritik von Ulrich an meinem bisherigen Vorgehen ist berechtigt. Klappt mir der Schirm aufgrund Windscherungen während der Aufstellens ein, kann ich darauf nur noch reagieren (mit einiger Verzögerung, da ich den Steuerdruckabfall nicht spüre) und den Klapper nicht proaktiv verhindern. Und während des Trainings habe ich gemerkt, was es bedeutet, einen Bewegungsablauf seit vielen Jahren eingeübt zu haben. Den “Händehoch-sobald-sich-Schirm-aufstellt-Reflex” werde ich mir nur mit viel Mühe abgewöhnen können. Außerdem diente dieses Programm vielen als Vorbereitung auf das Klappertraining, um sich an die Maschine zu gewöhnen.
Das Programm “große seitliche Einklapper”
Nach Auswahl des Programms kam ein Hinweis von Ulrich: „Das Programm ist anspruchsvoll und erfordert volle Konzentration.“ Recht schnell war klar: Er hat Recht!
Die Vorteile gegenüber einem Sicherheitstraining (ST): Beim Simulator weiß man vorher nicht, welche Seite einklappt! Das ist ein Vorteil, der nicht zu unterschätzen ist und der die Reaktionsgeschwindigkeit, wie ich festgestellt habe, beeinflusst. Im ST bereite ich mich einige Sekunden auf den Bewegungsablauf vor und bin schon während ich den Klapper ziehe auf der richtigen Seite. Im Simulator kommt dass, wie eben in freier Wildbahn, völlig überraschend. Ein weiterer Vorteil des Simulators ist das direkte Feedback. Man reagiert, wie man es für richtig hält. Aber woher weiß man, ob es nicht noch besser gegangen wäre oder man sogar irgendwelche Fehler macht? Der Fluglehrer am Boden kann nur das Ergebnis erkennen, man selbst kann auch nie einschätzen, wie wirkungsvoll eine Aktion war und wo noch unentdeckte Verbesserungspotentiale schlummern. Der Simulator gibt direktes und schonungsloses Feedback.
Da, wie beschrieben, der zeitliche Ablauf der simulierten Klappern identisch mit echten Klappern ist, der Adrenalinpegel sich jedoch auf Normalniveau befindet, kann man sich ausschließlich auf die richtige Kraftdosierung in jeder Klapperphase konzentrieren (wobei das aufgrund des starken und plötzlichen Abkippens im Gurtzeug und das “durchgeschüttelt werden” auch nicht ganz easy ist).
Herausfordernd ist die Übung, wenn der Schirm einklappt, während man ihn stark anbremst. Man muss erst kurzeitig die Bremse der offenen Seite lösen, um sie sofort danach wieder anzuziehen. Der Simulator hatte quasi immer was auszusetzen und empfahl mir regelmäßig über Kopfhörer “Mehr Gewichtsverlagerung zur offenen Seite” oder “Du nutzt die Steuerwege der offenen Seite schon sehr gut aus, kannst aber ruhig den Schirm beim Vorschießen noch energischer Anbremsen”.
Und da sind wir nun bei den Verbesserungsvorschlägen, die mir von drei Trainierenden (entspricht ca. 15% der Teilnehmer (TN)) angetragen wurde. Zu viele Informationen. Die Übenden konnten die Informationsmenge nicht schnell gut aufnehmen/verarbeiten und umsetzen. Da die Aufmerksamkeit anfänglich ganz der Maschine gilt, könnte Ulrich eine Funktion einbauen, die die Informationsmenge mit fortlaufender Trainingszeit steigert.
Auswertung der Feedbackbögen/Gespräch mit Absolvierenden: Ich habe alle Teilnehmenden, neben Gesprächen, folgende Fragebögen im Anschluss geschickt:
1) Wie lange fliegst du schon in Flügen oder Jahren?
2) Hat der Simulator dir ganz persönlich etwas gebracht?
3) Bei welcher Pilotengruppe siehst du den maximalen Nutzen?
4) Sollten wir das noch einmal Wiederholen?
5) Findest du, dass dies der Sicherheit dient und sollte somit durch den Verein gefördert werden (bspw. in Form von Zuschüssen o.ä.)?
6) Hast du Interesse an einem kombinierten Seminar und Training im Rahmen einer Vereinsveranstaltung?
7) Optional: Eigene Eindrücke, wie realitätsnah war das Gerät, sonstige Kritik usw.
Auswertung:
Insgesamt haben 29 Gleitis teilgenommen, davon 15 Vereinsmitglieder.
Vorweg sei gesagt. Kritik kam lediglich von ca. 15% aller Teilnehmer, d.h., die große Mehrheit alle Teilnehmer waren vom Simulator überzeugt bis begeistert. Viele Verbesserungsvorschläge beschreiben nur das “i-Tüpfelchen”. Eine tolle Resonanz. Von ein paar mehr Teilnehmern kamen, ohne das deshalb diese Personen den Simulator als weniger nützlich/effektiv bewerteten, Verbesserungsvorschläge. Aufgrund der geringen Menge an Kritik werde ich, ausnahmsweise, mit den Verbesserungspotentialen beginnen.
Drei Personen (ca. 10% der TN; fortgeschrittene Anfänger, Gelegenheitsflieger, langjähriger Gelegenheitsflieger (300 Flüge)) gaben an, dass Ihnen das Programm “großflächige seitliche Einklapper” wenig Nutzen gestiftet hat, bspw. weil sie den Simulator nicht realistisch genug empfanden. Eine Person (ca. 3% der TN) fand das Programm sehr wertvoll, hat auch persönlichen Nutzen daraus gezogen, war aber zumindest am Anfang etwas überfordert und hätte sich mehrere Trainingseinheiten gewünscht (Anfänger/Gelegenheitspilot). Zwei Teilnehmer (ca. 7% der TN) konnten sich nicht schnell genug an die Maschine gewöhnen, einer davon hatte lediglich das Programm „großflächige seitliche Einklapper“ ohne vorhergehendes “Aktivfliegen” gewählt. Ein Punkt der mir auch aufgefallen ist. Hätte ich nicht das „Aktivfliegen-Programm“ im Vorfeld durchlaufen, wäre es mir wahrscheinlich ähnlich gegangen. Der andere, der normalerweise einen hochklassifizierten Schirm fliegt, konnte sich nicht schnell genug an das Handling des Simulators (entspricht EN-A bzw. Low-Level EN-B) gewöhnen.
Der große Rest (über 70% der Piloten) jedoch hat sich hoch beeindruckt über die realitätsnahe Umsetzung geäußert. Überraschend war, dass quasi alle sehr erfahrenen Piloten (Erfahrung in Flügen oder Jahren. Nr.1: 900 Flüge; Nr.2: 10 Jahre, Nr.3: 15 Jahre, Nr.4: 400 Flüge) das Training als wertvoll und mit hohen persönlichen Nutzen bewerteten. Sehr viele würden das Training, bei entsprechender Gelegenheit, noch einmal absolvieren.
Wiederum quasi alle sind der Auffassung, dass der Simulator aus Sicherheitsperspektive gerade den Gelegenheitsfliegern/Anfängern/Wiedereinsteigern aber auch den meisten anderen (vgl. Einschätzung der sehr erfahrenen Piloten) einen deutlichen Vorteil bietet. Eine Einschätzung, die auch ich persönlich stark unterstreichen kann. Gemischte Meinung besteht darüber, ob aufgrund des Sicherheitsaspektes eine Vereinsförderung (bei Wiederholung) angebracht wäre. Viele sind der Meinung, dass die eigene Sicherheit jedem die Simulatorgebühr Wert sein sollte und daher keine Förderung notwendig ist.
Fazit und persönlicher Eindruck
Der Simulator unterstützt ganz erstaunlich das Training. Nur eine sehr geringe Pilotenanzahl (15%) attestierte dem Training einen geringen persönlichen Nutzen. Insbesondere für Anfänger und Gelegenheitspiloten ein enormes Sicherheitsplus. Bei Fortgeschrittenen hängt der persönliche Nutzen auch von den Trainingserwartungen ab. Wer sich als Fortgeschrittener lediglich das Ziel “Klapper stützen” vornimmt und dies schon in einem ST geübt hat, dessen Nutzen ist nicht so groß. Setzt man seine Ziele höher und will die perfekte Kraftdosierung in jeder Klapperphase trainieren, so profitieren davon auch Geübte. Man erhält ein direktes Feedback auch über Nuancen, welche in einem Sicherheitstraining unbemerkt blieben. Der Simulator ist somit ein weiterer Baustein in der Aus-/ und Fortbildung und im persönlichen Sicherheitskonzept, sofern man sich darauf einlässt. Er ergänzt ein Sicherheitstraining perfekt. Anfänger und Gelegenheitspiloten können die Klapperreaktionen und das aktive Fliegen erlernen, Erfahrene können ihre Technik optimieren und diese mit der Idealreaktion vergleichen. Den größten Nutzen sehe ich für die letzt genannte Pilotengruppe jedoch im Übungseffekt und beim Trainieren der Reflexe (überraschendes Klappen im Gegensatz zu ST).
An dieser Stelle möchte ich Ergebnisse aus Ulrichs Befragungen wiederholen. Die Zeitdauer der einzelnen Klapper-Phasen sind bei den meisten Klapper annähernd gleich lang, trotzdem berichten einige Piloten, dass „alles so schnell ging und keinerlei Reaktion möglich war“ wohingegen andere Piloten, beim selben Klapper von „genügend Zeit um wirkungsvoll Eingreifen zu können“ reden. Der Unterschied liegt laut Ulrich in der Gewöhnung an eine Situation, d.h. die erste Aussage stammt eher von Wenigfliegern, bzw. Piloten mit wenig Erfahrung bzgl. seitlichen Einklappern und anderen Kappenstörungen. Die zweite Aussage stammt eher von routinierten Piloten. Genau dieselben Erkenntnisse liefern Studien über das Handeln von Menschen in Extremsituationen. Man kann in solchen Stresssituationen im Gehirn nur das Abrufen (zumindest trifft das für ziemlich genau 90% der untersuchten Gruppe zu), was man eingeübt hat. Der Grund, weshalb Feuerwehrleute, Rettungssanitäter usw. regelmäßig kostspielige Übungen/Großübungen und Extremsituationen trainieren. Ein regelmäßiges Klappertraining, bspw. im Sicherheitstraining aber auch am Simulator, ist also absolut entscheidend, um im Extremfall „genügend (gefühlte) Zeit zu haben“ um richtig auf Störungen reagieren zu können. Der Simulator kann daher auch Erfahrenen als Ergänzung zum Sicherheitstraining dienen, da die Klapper – im Gegensatz zum ST – überraschend und ohne vorherige mentale Vorbereitung kommen. Der Simulator ist eindeutig eine Bereicherung der Gleitschirmszene. Er schließt die große Lücke zwischen A-Schein und Thermikerfahrung/Sicherheitstrainingund bietet allen eine sichere Möglichkeit, seine Reflexe zu schulen und ein Klapperautomatismus einzuüben. Wer die Gelegenheit hat ihn auszuprobieren, sollte diese Chance nutzen – es lohnt sich!

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